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Fluctuat nec mergitur - Translation und Gesellschaft. Festschrift für Annemarie Schmid zum 75. Geburtstag (in tedesco)

Peter Sandrini (Hrsg.)(2005).
Frankfurt a.M.: Peter Lang. ISBN 3-631-52542-7. (download 2,5 mb)

Buch

Inhaltsverzeichnis:

In eigener Sache (7)
Auswahl an Themen aus Annemarie Schmids Publikationstätigkeit (11)
Translationswissenschaft: Selbstbehauptung und Abgrenzung
Mary Snell-Hornby, Wien
Vorläufer der Translationswissenschaft Eine Würdigung aus heutiger Sicht (15)
Gernot Hebenstreit, Graz
Definitionen in der Translationswissenschaft Vorüberlegungen zum Einsatz terminologischer Methoden in der Metadiskussion (27)
Klaus Kaindl, Wien
Perturbation als Kommunikationsprinzip: Zum Verhältnis von Theorie und Praxis der Translation (47)
Wolfgang Pöckl, Innsbruck
Fußnote zur Fachgeschichte: Deutschsprachige Einführungen in die Übersetzungs-/
Translationswissenschaft (59)
Hildegund Bühler, Wien
Translation(swissenschaft) und Terminologie(wissenschaft) im akademischen Fächerkanon. Versuch einer Klärung (71)
Ausbildung im Umbau: Anforderungen und Curricula
Wolfram Wilss, Saarbrücken
Übersetzungskompetenz (85)
Felix Mayer, München
Die Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern in Europa vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses (97)
Christiane Böhler, Innsbruck
Die Europäische Dimension oder Curricula im Würgegriff der Politik (109)
Irmgard Rieder, Innsbruck
Von der praktischen Spracherlernung zur translatorischen Kompetenz Gedanken zur Geschichte der Ausbildung und der Curricula in Österreich (123)
Neue Fragen der Translationswissenschaft
Barbara Moser-Mercer, Genf
Multilingualism in Europe: Can Conference Interpreters Adapt to New Political and Economic Pressures (135)
Lew Zybatow, Innsbruck
Cognitive Knowledge Systems and Translation: What happens in the brain of a simultaneous interpreter? (149)
Erich Prunc, Graz
Translationsethik (165)
Rainer Arntz, Hildesheim
Kulturbarrieren und ihre Überwindung beim Verfassen und Übersetzen journalistischer Texte (195)
Peter Sandrini, Innsbruck
Spinnweben als Sprachenfalle: Webinhalte als Translationsgegenstand (209)
Autorenverzeichnis (223)
Personenregister (225)
Sachregister (231)

In eigener Sache

Der Name Annemarie Schmid ist untrennbar mit dem Institut für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck verbunden. Auch wenn ihre aktive Zeit als Professorin am Institut viel zu kurz gedauert hat, so hat sie doch Entscheidendes bewirkt. Das Institut für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck blickt auf eine relativ lange Geschichte seit seiner Gründung im Jahr 1945 zurück. Obwohl es seit damals Teil der Leopold-Franzens-Universität ist, war doch die erste Periode gekennzeichnet durch die Beschränkung auf die Ausbildung von Dolmetschern. Auch die Universität und die Geisteswissenschaftliche Fakultät sahen das Dolmetschinstitut eher als eine Art Anhängsel, das zwar da war, aber doch nicht so richtig in den traditionellen Fächerkanon und die Forschungslandschaft hineinpasste. Eine Reihe von Besonderheiten gegenüber den traditionellen Instituten der Fakultät wie etwa der Romanistik oder der Germanistik prägte diese Phase: Die zentrale Stellung der Ausbildung, die auch im alten Namen Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung zum Ausdruck kam, die Ausbildung durch Bundeslehrer und externe Lehrbeauftragte ohne Forschungsaufgaben, das weitgehende Fehlen von Wissenschaft und Forschungsprojekten, die Leitung durch geschäftsführende Direktoren und das Fehlen von Stellen für Universitätsprofessoren und wissenschaftliche Mitarbeiter.

In dieser Situation gelang Annemarie Schmid, neben ihrer Arbeit als Bundeslehrerin, die Habilitation am Institut zu verfassen und sich damit auch für die neugeschaffene Professur (1990) zu qualifizieren. Ein Neuanfang bahnte sich an. Die damit zusammenhängenden Aufgaben meisterte Annemarie Schmid mit großem Einsatz und Beharrlichkeit. Dadurch konnte sie einerseits die bestehenden Verwaltungsassistenten in wissenschaftliche Stellen überführen und andererseits auch neue Stellen sowohl im wissenschaftlichen Bereich als auch in der Verwaltung schaffen und besetzen. Ein Großteil der am Institut tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter, auch der Herausgeber dieses Bandes, verdankt dieser neuen akademischen Ausrichtung und damit der neuen Ordinaria die Möglichkeit, wissenschaftlich arbeiten zu können. Ein Anfang zur Etablierung der Translationswissenschaft auch in Innsbruck war gemacht

Annemarie Schmid

Annemarie Schmid hat in ihrer Zeit als Vorstand des Institutes Diskussionen gefördert, durchaus unterschiedliche Standpunkte zugelassen, um Kompromisse gerungen, auch wenn sie nicht ganz auf ihrer Linie lagen, aber vor allem war sie offen für Neues. Durch diesen Charakterzug konnte sie sich immer wieder für neue Projekte begeistern. So fiel in ihre Zeit die Auseinandersetzung mit dem computergestützten Übersetzen, was am Ende der 80er Jahre keine Selbstverständlichkeit war, oder auch die Begründung des Terminologieschwerpunktes am Institut, die zur institutseigenen Terminologiedatenbank auf der Grundlage der von den Absolventen durchgeführten terminologischen Abschlussarbeiten führte. Darüber hinaus war Annemarie Schmid stets bereit, die Translationswissenschaft nach außen hin zu vertreten und wirkte in mehreren außeruniversitären Forschungsprojekten in Tirol, Vorarlberg und Südtirol mit. Sie unterstrich damit den Anspruch des Institutes für Translationswissenschaft, als Kompetenzzentrum für das Übersetzen und Dolmetschen im regionalen Raum zu wirken. Während meines Studiums habe ich Annemarie Schmid erst sehr spät kennen gelernt, da das Französische nicht zu meinen Sprachen zählte. Als ich mich aber im Rahmen verschiedener Projekte nach meinem Abschluss wieder an das Institut wandte, konnte ich erfahren, mit welcher Bereitschaft und Offenheit sie ihr Fach vertrat. Nicht nur unterstützte sie mich ohne zu zögern in den Projektarbeiten zur Planung einer Terminologiedatenbank für Südtirol und nahm dazu an etlichen Arbeitssitzungen teil, sondern stellte ebenso ihre Kollegialität bei der Gründung des Südtiroler Landesverbandes der Übersetzer unter Beweis. Persönlich bin ich Annemarie Schmid in zweifacher Hinsicht zu Dank verpflichtet: Für das Interesse und die Begeisterung, die sie durch ihren Einsatz imstande war, bei mir für unser Fach auszulösen, wodurch sie in meinem Be- wußtsein erst die Voraussetzung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Übersetzen und der Terminologie geschaffen hat, sowie für die konkrete Möglichkeit der wissenschaftlichen Arbeit.

Der im Titel dieses Sammelbandes genannte lateinische Aphorismus bringt uns Annemarie Schmid gleich auf mehreren Wegen näher Fluctuat nec mergitur steht als Inschrift im Stadtwappen von Paris und stellt damit einen Nexus zur französischen Kultur dar, die für Annemarie Schmid einen besonderen Stellenwert innehatte. So hatte sie bereits sehr früh durch die historischen Begebenheiten in Tirol nach dem 2. Weltkrieg die französische Sprache erlernt - der westliche Teil Österreichs war damals unter der Besatzung französischer Truppen - und auch über die Tätigkeit ihrer Familie erfolgreich eingesetzt. Die französische Sprache und Kultur war dann auch neben dem Englischen Gegenstand ihres Studiums, ihrer Forschung im Rahmen der Habilitation und ihrer Lehrtätigkeit an der Schule und an der Universität. Dieser Leitspruch bringt uns Annemarie Schmid natürlich auch über die philologische Bildung näher, der sie sich zeitlebens durch ihre Ausbildung - sie studierte nach der Lehrerausbildung Romanistik und Anglistik - verpflichtet fühlte. Zur Translationswissenschaft kam Annemarie Schmid relativ spät in ihrer Laufbahn, obwohl sie sich mit dem Übersetzen und der Übersetzungsdidaktik als Lehrerin bereits eine lange Berufserfahrung angeeignet hatte. Der als Titel gewählte Leitspruch läßt sich wahrscheinlich ebenso auf die frühe Phase des wissenschaftlichen Weges von Annemarie Schmid anwenden: Ein zwischen Sprachwissenschaft und Übersetzungswissenschaft fluktuierendes Suchen nach dem "Weg ohne Markierung", wie sie es selbst beschreibt (vgl Schmid 2004: 315).

Der Leitspruch gilt aber vor allem für den Weg der Translationswissenschaft im ausgehenden 20. und beginnendem 21. Jahrhundert - eine Zeit, die geprägt war von entscheidenden Veränderungen der gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Insbesondere die multilinguale Kommunikation bzw. das Vermitteln von Kommunikation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg ist davon betroffen. In diesem Sinne ist Translation soziale Interaktion, die gesellschaftlichem Wandel nicht nur unterliegt, sondern diesen im Austausch der Kulturen auch entscheidend mitträgt. Die sich abzeichnenden Tendenzen zur Entstehung einer globalen Weltgesellschaft, zu der nicht nur politische und wirtschaftliche Faktoren beitragen, sondern vor allem auch die Entwicklung der Kommunikationstechnologie, lassen Mehrsprachigkeit zu einer alltäglichen Notwendigkeit werden: Für das Individuum einerseits, vor allem aber für Institutionen und Unternehmen andererseits. Translation übernimmt damit eine prominente Rolle als soziale Aktivität, als Dienstleistung und auch als akademische Foschungsdisziplin. Vorausgesetzt werden kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Position der Translationswissenschaft als eine eigenständige und damit auch selbstverantwortliche Disziplin im akademischen Fächerkanon: Eine nicht ganz leichte Errungenschaft nach Jahrzehnten erfolgloser Vereinnahmungsversuche einerseits und polemischer Abschottungen andererseits. Es liegt in der Natur einer Festschrift, dass das Thema relativ allgemein abgesteckt ist, damit jeder der eingeladenen Autoren sich mit seinen Schwerpunkten darin wiederfinden kann. Dennoch soll der Leitfaden durch den Band die soziale Relevanz und die Bedeutung von Translation als gesellschaftlicher Aktivität sein. Der Band kann damit aber auch den Wandel der Translationswissenschaft in den letzten 20 Jahren dokumentieren, was auch der Periode wissenschaftlicher Arbeit der Gewürdigten entspricht. So zerfällt der vorliegende Band in drei Kapitel:

1. Translationswissenschaft: Selbstbehauptung und Abgrenzung: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Selbstfindung der Disziplin und ihrer Standortbestimmung, der internen Entwicklungsgeschichte (Snell-Hornby), den zentralen Begriffen und ihren Definitionen (Hebenstreit), dem Verhältnis von Theorie und Praxis (Kaindl), den Einführungswerken in die Disziplin (Pöckl) sowie der Inklusion der Terminologiewissenschaft (Bühler).
2. Ausbildung im Umbau: Anforderungen und Curricula: Lebenswichtig für jede Disziplin ist die Ausbildung, wobei für die Translation das Spezifikum der Zweiteilung in die Anforderungen der Praxis bzw. der Berufsausübung und der wissenschaftlichen Ausbildung zu beobachten ist. Die Übersetzungskompetenz steht somit im Mittelpunkt des ersten Beitrages (Wilss), die Neustrukturierung der Ausbildungsgänge im europäischen Vergleich (Mayer) sowie die damit verbundenen praktischen und auch politischen Schwierigkeiten (Böhler) und die soziale Anerkennung im Rahmen der Berufsausübung (Rieder) in weiteren Ausführungen.
3. Neue Fragen der Translationswissenschaft: Nach der disziplinären Introspektive und der Ausbildungsproblematik werden in diesem Kapitel einzelne Beispiele für die Vielseitigkeit und die Aktualität der Translationswissenschaft herausgegriffen: Neue Herausforderungen für Konferenzdolmetscher (Moser-Mercer), Kognition und Dolmetschen (Zybatow), Verhaltensrichtlinien und philosophische Fragen der Ethik (Prunc), Kulturspezifika in zu übersetzenden Texten (Arntz) sowie das Übersetzen multimedialer Internettexte (Sandrini).

Die gesellschaftspolitischen Veränderungen und ihre Auswirkungen scheinen sich eher zum Vorteil für die Translation als akademische Disziplin auszuwirken, da der Bedarf an ausgebildeten Sprachmittlern in der globalen multikulturellen Gesellschaft steigt. Viele neue Bereiche der Translation haben sich herausgebildet, wie etwa das multimediale Übersetzen in den Bereichen Film und Fernsehen, oder die Lokalisierung sowohl von Software als auch von Webseiten, oder die mehrsprachige technische Dokumentation. Hier gilt es für die Translation zu einer offenen Selbstdefinition zu finden und die neuen Herausforderungen in das Fach zu integrieren. In diesem Sinn soll der vorliegende Band die breite Perspektive des Faches Translationswissenschaft und seine dynamische Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten aufzeigen.
Als Herausgeber möchte ich allen danken, die an der Planung und Verwirklichung dieses Bandes mitgearbeitet haben.
Innsbruck, Jänner 2005